Dorian Gray (1974) - Part II (DE)
Synopsis
Vorwort
Unter Verweisung auf die Art und Weise wie und auf die Stelle, wo die Szenen auf der CD 1974 vorkamen, behalten wir die Tracking der Attica CDAusgabe bei.
Die Tonfragmente stammen von der CD-Ausgabe vom 12. Dezember 1982. Fragmente aus der gestrichenen „Opium Den"-Szene sind vom Regisseur Charles Hamilton, das Regievideo vom gleichen Datum als die CD-Aufnahme. Das Regievideo ist selbstverständlich von nur einer Kameraperspektive aus gefilmt worden und befand sich in der Zeit des Digitalisierens in schlechtem Zustand; manchmal ist noch etwas Farbe sichtbar, manchmal nur Schwarz-Weiß. Es ist aber das einzige bewegende Bild, das es von der Dorian Gray gibt, und aus historischen Gründen zeigen wir hier und da, über diesen Essay verteilt, einige Schlüsselfragmente. Bild- und Tonmaterial wurden mit Zustimmung von Attica, von der Nederlandse Opera, von Hans Kox und/oder Charles Hamilton gebraucht. Selbstverständlich sind es auch sie, die die Auswahl dieser einmaligen Dokumente der site 401NederlandseOperas.nl zur Verfügung gestellt haben.
Obgleich hier aus selbstverständlichen Gründen für die Sinopsis das Jahr 1974 gewählt wurde, existiert von der Weltaufführung kein Tonmaterial.(Sollte jemand dieses Material besitzen, so empfehlen wir uns selbstverständlich). Tonfragmente stammen wie gesagt aus 1982, was bedeutet, dass Sie hier die Tenorfassung hören. Die Sängerin Roberta Alexander hat hier die Rolle der Sybil Vane von Anna Haenen übernommen.Lieuwe Visser sang in allen Serien die Basil Hallwardrolle. Die Veränderungen in der Partitur werden anderswo behandelt, sie sind aber zahlenmäßig gering. Die wichtigste Veränderung betraf eigentlich eine Umordnung der Szenen 3 und 4. Von allen drei Serien fanden wir glücklicherweise fotographisches Material, das wir hier - jeweils mit Angabe der Jahreszahl zeigen.
ACT I
Wir befinden uns im Studio des Malers Basil Hallward. Dorian Gray spielt Klavier als Hallward mit Lord Henry eintritt. Wie Cavaradossi in Puccinis Tosca mischt Hallward seine Palette, nur ist sein Objekt nicht die schöne Attavanti, sondern das Porträt Dorian Grays.
Orchestereinleitung
Szene 1
Die temptationscene (at the studio of Basil Hallward)
Dorian ist überrascht, als er den unangekündigten Lord Henry sieht. Dieser gewinnt aber sein Vertrauen, indem er ihm verspricht, die Beziehung zu Lady Agatha wiederherzustellen. Dorian hätte vor einiger Zeit mit ihr vierhändig Klavier spielen sollen, hat die Verabredung damals aber vergessen. Dann fordert Hallward Lord Henry auf, zu gehen, weil er mit Dorians Porträt noch am gleichen Nachmittag fertig werden soll. Dorian fordert aber, dass Lord Henry bleibt. Hallward bittet Dorian, sich auf das Podium zu setzen und vor allem dem Geschwätz Lord Henrys keine Aufmerksamkeit zu schenken, weil dieser einen verderblichen Einfluss hat auf jeden, den er trifft. Lord Henry erwidert:
'There is no such thing as a good influence. All influence is immoral, because to influence a person is to give him one's own soul. He becomes an echo of someone else's music. The aim of life is self-development. To realize one's nature perfectly. That is what each of us is here for. But people are afraid of themselves, nowadays. The terror of society, which is the basis of morals, the terror of God, which is which is the secret of religion. These are the two things that govern us and yet...
Basil H: (deep in his work): Just turn your head a little more to the right Dorian, like a good boy.
Daraufhin beendet Lord Henry seine Darlegung mit der These, dass, wenn ein Mensch sich völlig ausleben würde, dies eine solche Freude schenken würde, dass alle Mittelmäßigkeit in der Welt darin verschwinden würde. Nach Lord Henrys Meinung soll man gerade allen Versuchungen nachgeben, um zu verhindern, dass sie den Geist beherrschen werden. Dann wendet er sich an Dorian:
'You yourself you have had passions that have made you afraid, thoughts that have filled you with terror, day-dreams and sleeping dreams whose mere memories might stain your cheek with shame.'
Dorian zeigt sich entzückt von Lord Henrys Worten, der ihm weitersprechend sagt, die Jugend sei der einzige wertvolle Bessitz:
'You have a wonderfully beautiful face. Will it always be so? When your youth goes, your beauty will go with it.'
Weil Dorian unter den Worten Lord Henrys auflebt, zeigt sich auch Hallward schließlich entzückt: das fertig gemalte Resultat ist ein Meisterwerk geworden! Plötzlich aber blickt Dorian ganz düster drein: das Porträt wird immer so jung bleiben wie es jetzt ist, während er alt und hässlich werden wird. Er sagt, er sei bereit, seine Seele dafür zu geben, wenn das Umgekehrte geschehen sollte, dass also das Porträt älter würde und er selbst jung bliebe. Dorian:
'I am jealous of the portrait. Why should it keep what I must lose? I fit were only the other way.'
Plötzlich schlägt die Atmosphäre um. Hallward sieht, dass es Dorian ernst ist und will das Porträt vernichten. Dorian hält ihn aber zurück, und sagt, dies käme einem Mord gleich, weil das Porträt 'ein Teil von ihm' ist. Dann lädt Lord Henry beide auf einen angenehmen Abendbesuch an das Theater ein.
Szene 2
The Observation Scene
(This scene was called 'The Engagement Scene I' in 1974)
At the house of Lord Henry
Dorian ist im Gespräch mit Lady Henry, die ihn bei Lohengrin gesehen hat. Sie liebt Wagners Musik sehr, weil diese so laut ist, dass man dabei über Leute klatschen kann, ohne dass jemand es hört. Während sie sich in ein Gespräch über gute und schlechte Musik verwickeln, tritt Lord Henry ein, der Dorian enträt, zu heiraten, weil Frauen viele Nachteile haben. Dorian antwortet, er werde nicht bald heiraten, weil er sich in eine Schauspielerin, Sybil Vane, verliebt habe. Lord Henry lacht ihn aus, weil das wohl sehr banal sei.
Dorian verteidigt seine Muse aber eifrig als eine Künstlerin. Dann sagt Lord Henry ihm begütigend, er habe nichts gegen die Romanze, aber Dorian müsse von seiner ersten Liebe sprechen, nicht von seiner größten. Dorian protestiert, so banal sei er doch nicht?
Lord Henry: 'My dear boy, the people who love only once are really the shallow people. What they call their loyalty and their fidelity, I call either the lethargy of custom or their lack of imagination...'
Dorian fährt in der Geschichte seiner Begegnung mit Sibyl, wie er sie bei einer Aufführung von Romeo und Juliet gesehen hat fort. Sybil könne jede beliebige Person darstellen. „Wann war sie Sybil Vane?" fragt Lord Henry.
Dorian: 'Never'
Lord H: 'I congratulate you.'
Dorian (terribly excited): 'How horrid you are! You don't understand her. She has genius. She regarded me merely as a person in a play. She knows nothing of life. She lives with her brother. I love her, and I must make her love me.'
Dorian fordert Lord Henry und Hallward auf, ihm zu helfen, indem sie zusammen mit ihm eine Aufführung von Sybil besuchen. Lord Henry versinkt in ein tiefes Nachdenken:
'There is something terribly enthralling in the exercise of influence. To project one's soul into some gracious form, and let it tarry they're for a moment. He is a marvellous type, too, that lad. There is nothing that one could not do with him. What a pity that this beauty is destined to fade. There is something fascinating in this son of love and death...'
Szene 3
The Confrontation Scene
(This was Scene 4 'The Conversation scene I' in 1974)
At the studio of Basil Hallward
Basil bespricht Dorians Verlobung mit Sybil. Als Hallward ihn fragt, ob er die Verlobung gutheißt, antwortet dieser:
'I never approve, or disapprove, of anything now. Dorian Gray falls in love with a beautiful girl who acts Juliet, and proposes to marry her. Why not? If he wedded Messalina, he would be none the less interesting.'
Sodann äußert er die Hoffnung, dass es auch wiklich zu einer Heirat kommen werde. Er freut sich schon jetzt auf den nächsten Betrug. Dann tritt Dorian ein, der fortfährt, Sybils Lob zu singen. Zum Schluss schleppt er seine Freunde mit ins Theater, damit sie mit eigenen Augen sehen, wie phantastisch seine Muse ist.
Szene 4
The Love Scene
(This was Scene 3 'The engagement Scene II' in 1974)
The dressing room of Sybil Vane
Sybil ist im Gespräch mit ihrem Bruder James. Sie ist entzückt von ihrer Liebe. Er sagt ihr aber, sie solle sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie sind Leuten Geld schuldig. James warnt sie vor dem Mann, der die Gefühle in ihr wachgerufen hat. Als er sich mir den Worten, er werde Dorian töten, wenn er Sybils Liebe Verrät, verabschiedet, bleibt Sybil erschüttert zurück. Sie singt einen Monolog über die Liebe, „Let (...)mariage".
Szene 5
The Torment Scene
(This was called 'The torment scene I' in 1974)
The dressing-room of Sybil Vane
Sybil Vane übt einige leere Phrasen als Dorian eintritt. Von Freude erfüllt begrüsst sie Dorian mit den pathetischen Worten, dass sie an diesem Abend schrecklich gewesen sei, wobei sie sich nicht realisiert, dass dieses Geständnis Dorian um seine Illussionen gebracht hat. Er fragt, ob sie krank gewesen sei. Seine Freunde haben sich gelangweilt, er hat sich gelangweilt. Sybil:
'Dorian, Dorian, Dorian. Before I knew you, acting was the one reality of my life. I knew nothing but shadows and I thought them real. You came, my beautiful love! And you freed me from prison. Tonight, for the first time in my life, I saw the hollowness of the empty pageant in which I had always played. You had brought me something higher, something of which all art is but a reflection. You had made me understand what love really is. My love, Prince Charming, prince of life.'
Dorian antwortet, dass sie soeben seine Liebe getötet hat. Als Sybil versteht, dass es ihm ernst ist, versandet sie in ein hilfloses Flehen, das Dorian nur noch bitterer stimmt:
Er verstößt sie mit den Worten: 'You have dissapointed me.'
Szene 6
The Realisation Scene
(This was called 'The torment scene II' in 1974.)
The house of Dorian Gray
Beim Betreten seiner Wohnung, fällt sein Auge auf sein Porträt. Etwas Sonderbares ist damit los. Seine Mundwinkel zeigen einen Anflug von Grausamkeit. Er öffnet das Fenster, die Grausamkeit bleibt aber. Er blickt in den Spiegel. Da hat sich nichts verändert. Dann erinnert er sich an seinen ersten Wunsch. Er realisiert sich voll Abscheu, was los ist, und verwünscht Sybil Vane. Er geht zum Fenster, öffnet es und schnappt nach Luft:
ACT II
Szene 1
The Cocktail Scene at Lady Agatha's
(This was called 'The banquet scene at Lady Agatha's' in 1974)
Lady Agatha, Lady Gladys, Lord Henry, Sir Thomas, Lady Narborough und Dorian konversieren über Liebe, Skepsis und Lord Henrys unverbesserliche Immoralität. Lord Henry verteidigt sich, indem er behauptet, er verkünde die Wahrheiten der Zukunft, so wie diese:
'Women love us for our defects. If we have enough of them, they will forgive us everything, even our intellects.'
Es entspinnt sich eine Diskussion, in welcher Lord Henry behauptet, dass Romantik nicht durch Routine gedeiht, sondern durch das Wiedererleben des romantischen Brennpunkts. Das ist es, was man wiederholen soll, nicht den Schlendrian. Als man Dorian nach seiner Meinung fragt, antwortet er, immer mit Lord Henry einverstanden zu sein, was dieser auch behauptet:
'I have never searched for happiness. I have searched for pleasure. Often, too often.'
Er pflückt eine Orchidee, und alle sind einverstanden, dass eine so prachtvolle Gabe ebenso wirkungsvoll ist, als die sieben tödlichsten Sünden. Dann bieten die Lordships und Dorian jeder Dame eine Orchidee an.
Szene 2
The Book Scene
Die ganze „Book Scene" besteht aus auf Band aufgenommer elektronischer Musik, an der außer einigen umgeformten Chorklängen und einer Sprechstimme, die Stellen aus der „Dorian Gray" vorgelesen werden, an denen kein Sänger beteiligt ist. Kox verwendet hier eine graphische Notierungsweise, eine typische Errungenschaft der Nachkriegsavantgarde; die Partitur weist ein Zusammengehen einer Reihe abstrakter Formen mit sechs von einer Orgel fortissimogespielten Akkorden auf. Durch die Art und Weise, wie Kox, der, wie das CD Buch mitteilt, schon in den fünfziger Jahren mit elektronischer Musik experimentierte, die heutige Techniken anwendet, ist er bestimmt ein Kind seiner Zeit.
Szene 3
The portrait scene (at the house of Dorian Gray)
Hallward kommt zu Dorian und bittet um eine Erklärung. Man munkelt über sein unsittliches Benehmen:
'You were a man whom no pure minded girl should be allowed to know. Why is our friendship so fatal to young men? What about Sybil vane and her dreadful end? What about Lord Kent's only son and his career? What about the young duke of Perth? What about Sir Henry Ashton? What about Lady Gwendolyn? What about Lord Staveley? What about?'
Hallward zählt Dorians Sünden eine nach der anderen auf. Man hat Dorian sogar aus den widerlichsten Bordellen kommen sehen. Er fragt sich, ob es wahr sein kann, und sagt, dass er dafür in Dorians Seele hätte blicken können müssen, was leider nur Gott kann. Dorian bricht in ein bitteres Lachen aus.
'Ah! You shall see it yourself. Come, it is your own handiwork. You have chattered enough about corruption, now you shall look on it face to face. You are the one man in the world who is entitled to know everything about me. You have had more to do with my life than you think. I shall show you my soul. You shall see the thing that you fancy only God can see.'
Dann zieht es das Tuch vom Porträt weg und zeigt Hallward sein greulich entstelltes Gesicht und erinnert ihn an den Tag vor vielen Jahren in seinem Studio, an dem es fertig wurde. Hallward realisiert sich voll Abscheu, was passiert ist, und fleht Dorian mit ihm zu beten. Dorian antwortet bitter, dass es dazu zu spät sei. In einer Anwandlung von Wut nimmt er ein Messer und schlägt damit zahllose Male auf Hallward ein. Er lauscht, hört aber nur das Sickern von Blut. Es ist still um ihn her. Er empfindet Ruhe. Er ist frei.
Szene 4
The opium Den scene
(This scene was performed in all three runs of Dorian Gray, but is absent from the CD recording because Kox has meanwhile judged it superfluous)
Lady Gladys, Sir Thomas, Lady Narborough und sogar James Vane sind inzwischen drogensüchtig geworden und rauchen Opium in einer Opiumhöhle. Sir Thomas bemerkt noch vage, dass sie eigentlich weggehen sollten, die anderen fühlen sich aber zu wohl in der Glut der Feuers, das in ihnen brennt. Als Dorian eintritt, begrüßt Lady Narborough ihn mit den Worten „Prince Charming". Darauf zieht James eine Pistole und richtet sie auf Dorian. Dieser fragt ihn erstaunt, was er Vane getan habe. Vane antwortet, dass er das Leben seiner Schwester Sybil zerstört hat. Sie hat Selbstmord begangen:
'Her death is at your door. I swore I would kill you in return. For years I have sought you. I had no clue, no trace. I knew nothing of you except the pet name she used to call you. I hear it tonight by chance. Make your peace with God, for tonight you are going to die.'
Ein zum Tode verängstigter Dorian fragt Vane, wie lange es her ist, dass Sybil Selbstmord begangen hat. Zwanzig Jahre. Dann gebietet er ihn, aufzuhören, er kann es dann nicht getan haben. „Look(...)face!" Die Umstehenden realisieren sich voll Abscheu, was das bedeutet, aber Vane senkt die Pistole, weil er glaubt, er habe beinahe einen abscheulichen Irrtum begangen. Dorian geht, und Lady Narborough sagt Vane, dass es doch wirklich 20 Jahre her ist, dass dieser „Junge Herr" aus ihr gemacht hat, was sie heute ist:
'Strike me dumb if it ain't so. Before God he is the most evil one that comes here. They say he has sold himself to the Devil for a pretty face. It's nigh on twenty years since I met him. He hasn't changed much since then. I have though...'
Szene 5
The Conversation Scene
(This was called 'The Conversation Scene II' in 1974. In the 1982 performance it was called 'The Chess Scene', after the image of a chess game as projected in the background. On the CD release this was changed back to 'The Conversation Scene')
The house of Lord Henry
Dorian sagt, er habe einst eine einzige gute Tat verrichtet, nämlich, dass er Sybil freigelassen hat, 'um sie vor Schlimmerem zu behüten.' Lord Henry lacht ihn aus, und erzählt Dorian, dass der geheimnisvolle Tod des Malers Basil Hallward jedermann beschäftigt. Dorian fragt Lord Henry, ob er schon mal die Möglichkeit erwogen habe, dass Hallward ermordet sein könnte. Und was, wenn sich herausstellen sollte, dass er selbst, Dorian, den Mord verübt habe? Lord Henry schiebt das vom Tisch: zu so etwas Niedrigem ist sein Idealbild der Schönheit nicht imstande. Dann fragt er Dorian, was aus seinem Porträt geworden ist. Dorian antwortet, er habe sich nie viel daraus gemacht, es sei ein seelenloses Ding gewesen. Lord Henry betrachtet Dorian aufmerksam:
'By the way, Dorian, what does it profit a man if he gains the whole world and loses his own soul?
Dorian: The soul is a terrible reality. It can be bought, sold, bartered away, poisoned or made perfect. There is a soul in each one of us.
Lord Henry: Do you feel quite sure of that?
Dorian: Quite sure.
Lord Henry: Ah! Then it must be an illusion. The things one feels absolutely certain about are never true. That is the fatality of faith and the lesson of romance...'
Zum Schluss macht er Dorian Komplimente über dessen ewige Jugend und fragt nach dem Geheimnis davon, er könne in seinem Alter schon etwas davon gebrauchen. Die Zeit habe Dorian nicht berührt. Der plötzlich ermüdete Dorian antwortet ihm: I (...) Harry".
Szene 6
The reconciliation scene
The house of Dorian Gray
Dorian verflucht die Jugend als etwas Unwichtiges und klammert sich an die Wahnvorstellung, dass er wenigstens eine Person geschont hat. Er eilt zum Porträt, um nachzusehen, ob vielleicht schon eine Veränderung sichtbar ist. Dann erscheint Sybil Vane vor ihm. Sie fragt, warum so viele Schatten an ihm kleben, wo normale Sterbliche nur einen Schatten haben. Als sie verschwindet, feixt der erbitterte Gray:
'Ah! Vanity! The desire for a new sensation. Confess? Ah! My sin? The murder... confess/ never! An unjust mirror... Vanity! Curiosity! Vicious cruelty! Cruelty! Murder! The mirror of my soul... Leave me in peace... peace...'
Er nimmt das Messer, womit er Hallward ermordet hat, und durchsticht das Gemälde. Das verändert in ein prachtvolles Porträt von Dorian, der selbst, auf abscheuliche Weise vom Leben gezeichnet, zu Boden stürzt, das Messer im Herzen.
Schlussbeifall
Als der Vorhang fiel, gab es, wie Hélène Kox sagt, trotz der katastrophalen Besetzung der Titelrolle, viel Beifall: "Nur in einigen Reihen hinter uns erklang in einer kleinen Gruppe ein lautes Buhrufen. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass sich da einige Kollegen befanden".
Trotz des öffentlichen Beifalls hatte Kox selbst kein gutes Gefühl über die Uraufführung. Er empfand die Vorgeschichte wie ein Schlag ins Gesicht, und die unglückliche Geschichte mit dem Countertenor und Basil Hallward machten, dass er alles weniger als glücklich nach Hause ging. Dennoch konnte sogar sein ängstlichstes Vorgefühl ihn nicht vorbereiten, auf was ihm am nächsten Morgen bevorstand.
Erwachen mit Hans Heg und Hans Reichenfeld
Obgleich es in den Niederlanden natürlich mehr als zwei Zeitungen gibt, zählten für Kox nur De Volkskrant und die NRC, weil das die Zeitungen waren, die in seiner Welt von Bedeutung waren.Rückschauend muss Kox wohl ein schlechtes Vorgefühl gehabt haben, waren es doch nicht nur die Nussknacker, die hinter ihm her waren. Auch die Rezensenten, die sie auf ihrer Seite hatten, waren ihm in den vergangenen Jahren kritisch entgegengetreten. Umgekehrt hatte Kox übrigens auch regen Anteil genommen., so gesteht er in einem Gespräch mit „401NederlandseOperas.nl": „Ich nannte sie „notenmonteurs" (Notenschlosser). Ich habe also mit meiner Haltung wohl das eine und das andere zu der Aversion beigetragen, das gebe ich schon zu".
Obgleich Kox ebensowenig die Wahrheit in Pacht hat, hoffte er, ungehindert seine Wege gehen zu können. Das war eine Fehleinschätzung. Dazu war die Polemik mit all den Aktionen, Forderungen und Dekreten viel zu stark auf die Spitze getrieben worden. Die Nussknacker hatten die progressiven Medien hinter sich, und glaubten , dass sie die gewinnende Partei seien. Reichenfeld von der NRC und Heg von De Volkskrant säbelten, wie Bas van Putten schreibt, alles, was nicht avantgardistisch war, konsequent nieder. Er gibt davon vom Jahre 1964 einige klare Beispiele, aber Heg fasst es selbst ohne Umstände in seiner Rezension der Aufführung der Doiain Gray folgendermaßen zusammen:
„Das Werk ist unter Kox' Händen zu einem Operndrachen ausgewachen, und Regisseur Hamilton hat das Untier zudem noch mit allen möglichen Klischees geschmückt. Es ist wirklich erschütternd, wobei die von Oscar Wilde entnommene Vorlage (The...Gray) bestimmt eine amüsante Geschichte für eine Opernintrige liefern kann. Es sah so aus, als wäre es Kox gelungen, aus Wildes einzigem Roman ein brauchbares Libretto hervorzufischen; alle essentiellen Momente waren da, und die meisten Ausschmückungen, die endungslosen Dialoge waren verschwunden. Indem Kox eine völlig nichtssagende und kaum dramatisch wirkende Musik hinzufügte, entartete das ganze nichtsdestoweniger in eine endlos scheinendeReihe von unscheinbaren Szenen. [...] Schon seit vielen Jahren und wenigstens achtzig Kompositionen lang bewegt sich Kox als unser begabtester Eklektiker durch das Leben. Er lernte das Fach bei Badings, leiht aber ebenso gern bei Bartok, Britten, Stravinsky, Penderecki und Berg. An sich lässt sich nichts dagegen einwenden, es wird nur peinlich, wenn diese ganze fleißige Nachfolgearbeit – ich halte sie hier im Anschluss an den Begriff ‚Sonite', welcher Hans Henkemans für das Werk der Avangardisten erfand, mit der Bezeichnung „Komponistik", unter die Taufe – eine Arbeit, aus der auch schon durch die geschickte, obgleich unbeholfene Kleisterarbeit, nur immer nicht ein Stil und ein Gesicht entstehen will.
Hans Heg, De Volkskrant, 1 April, 1974
Reichenfeld ist in der NRC stilistisch etwas weniger deutlich als Heg, zeigt sich aber in seiner Wortwahl genau so grob und niederträchtig. Man könnte darin ohne weiteres eine ‚Abrechnung' lesen:
'Das Resultat: Ein zum Gähnen langweiliger Misserfolg mit größtem künstlerischem Unvermögen als Einsatz. Peinlich darüber zu schreiben, um so mehr, wenn man an die enorme Prätention denkt. [...] Kox vertritt einen Komponistentypus, den der Dirigent der Aufführung, Jochem Slothouwer...vorige Woche im großen und ganzen sehr gut beschrieb: "Kox knüpft deutlich an die Tradition und die Entwicklung an. Von Orff bis Ligeti wendet er mehrere Methoden moderner Techniken an." Was Slothouwer dabei nicht erzählte ist, wie das Anknüpfen an all diese Stile geschieht. Denn oberflächlich gesehen arbeitet Strawinsky genau so: ein Eklektiker, der aus dem Gegensätzlichsten genau das hervorholt, was ihm am geeignetsten scheint, um schließlich all diese Stile zu seinem unverfremdbaren Stil und mit seiner eigenen Signatur umzuwandeln zu können. Kox' Eklektizismus ist aber ganz anders. Dieser Komponist besitzt nämlich die zweifelhafte Gabe, alle fremden Einflüsse verdorren zu lassen. Einmal durch das Sieb seiner Bemühungen gegangen, bleibt etwas vollkommen Unbedeutendes übrig. Das ist die Essenz seiner Kreativität'
Hans Reichenfeld, NRC, 1 April 1974
Het Parool ist mit Lex van Delden milder, konstatiert aber, dass Kox nicht einen bedeutenden Neugewinn zum schon beschränkten Repertoire vom eigenen Boden geliefert hat. Einige wohlwollende Notizen aus den Rezensionen des Algemeen Dagblad ('seine Musik hat eine konstante dramatische Wirkung'), De Tijd ('ein harmonisch reicher und außerordentlich variierter Klangdekor' oder Het Vaderland ('ein überzeugender Erfolg') können keinen Trost mehr bringen, so stellt Van Putten in „Hoog Spel" fest. Ein größter Misserfolg ist da, oder... lässt Kox sich den größten Misserfolg anschmieren?
Verfehlter Beruf
Van Putten beschreibt schön, wie die Dinge in der niederländischen Musikologie damals liefen. Das Bild entsteht, dass Reichenfeld und Heg sich langsam Herr, Meister und Scharfrichter fühlten. Sie werfen sich in diesen Tagen als Befürworter einer einzigen Musikrichtung auf. Sie handelten dabei aber aus sauberen Motiven. Kox' wird geschlachtet - denn geschlachtet wird er - weil seine musikalische Philosofie mit ihrer muskalischen Überzeugung zusammenstößt. Nicht, weil er Hans Kox ist. Soviel wenigstens geht hervor aus der Tatsache, dass das Nussknackerherzenskind Peter Schat, als dieser einmal sich zur Tonalität bekehrt hat, ebenfalls sofort in der Anklagebank der beiden Kritiker landet. Es ist deutlich, dass Rezensenten, die "fordern" dass Komponisten sich an Reconstructie, Stockhausen & Kompagnons anschließen, dem Fach des Rezensenten faktisch 'entstiegen' sind. Sie haben den Beruf eines Opernmanagers, künstlerischen Leiters oder Intendanten verfehlt.
Ich kann nicht beurteilen, ob die Frustration darüber Heg und Reichenfeld, als De Volkskrant und NRC allmächtig waren, dazu verleitet hat, ihre Position arrogant zu missbrauchen und unter dem goldenen Schirm der ewigen Börostelle bis zu ihrer Pensionierung brav ihre Rezensionen zu schreiben.Es wäre möglich. Es war ihnen aber auf jeden Fall nicht gegeben, die Zeitverhältnisse richtig einzuschätzen, was ihren deutschen, englischen und amerikanischen Kollegen vergleichsweise viel besser gelungen ist. Von der Musik der Halbstarken ist heute nicht viel mehr übrig als von der Musik der vorhergehenden Generationen in den Niederlanden. Die am häufigsten gespielten niederländischen Opern aller Zeiten sind „De triomferende min" aus 1680 und „De bruyloft van Cloris en Roosje" in der Bearbeitung von 1711, erstere auf Musik von Carolus Hacqart, die letztere von Servaes de Koninck aus 1688 bzw. 1706 (nach einer Feuersbrunst im Jahre 1872 neukomponiert von Bartholomeus Ruloffs), beide Opern nach einem Libretto vom Gelegenheitsdichter Dirck Buysero. In den mehr als 200 Jahren, die seit 1706 vergangen sind, hat keine einzige niederländische Oper sich behauptet, auch die aufsehenerregende Reconstructie nicht. Viele kennen dieses Nussknackermanifest dem Titel nach. Bis zum Erscheinen dieser Webseite wusste aber nur eine Handvoll Leute, wie diese Musik wirklich klang. Auf CD wurde sie nämlich bis 2013 - leider - nie herausgegeben.... Dies vielleicht auch wegen des heute einigermaßen naiv anmutenden Inhalts: die Verherrlichung Fidel Castros und die implizite Erwartung, dass die Revolution des Proletariats auch die Niederlande befreien würde. Gezeichnet: Harry Mulisch und Hugo Claus. Sie gestanden später lächelnd ihren Irrtum ein, träumten aber tapfer vom Nobelpreis weiter...
Das Ende
Kox konnte den Ausgang der am 1.April losgebrochenen Polemik über längere Zeit natürlich nicht voraussehen. Nach seinem Gefühl fand er sich nach der Uraufführung einfach im Schützengraben wieder; ihm gegenüber eine bis zu den Zähnen bewaffnete musikalische und literarische Avantgarde. Die Kritiken von Heg und Reichenfeld waren für ihn keine Rezensionen, es waren Bombenangriffe in einem Kampf, den er nicht gewinnen konnte. Freunde, die sagten, es handle sich nur um kleine Zeitungsartikel, konnten ihn vom Gefühl, dass er einen verlorenen Streit führe, nicht befreien. Der Verband Nederlandse Componisten GeNeCo hielt über den Fall Kox eine Versammlung, wobei die Frage aufgeworfen wurde, ob die schändliche Kritik angeprangert werden sollte. Heg und Reichenfeld passieren als Gefahren für die Entwicklung der niederländischen Musik Revue." Sie erleben damit eigentlich ihre ‚finest hour', denn das ist, wie Heg später Van Putten erklärt, etwas zu viel Ehre für die Herren.. 'So viel Macht haben wir nicht.' Louis Andriessen folgert höchstpersönlich, dass die Rezensionen zwar schändlich sind, nicht aber verleumderisch, und dass mithin nichts zu machen ist. Kox:
„Andere schrieben dann: „Ach ja, es ist seine erste Oper...". "Das habe ich schon längst überwunden, ich habe die Kritik der Volkskrant und der NRC nie akzeptiert. Hans Heg bin ich später nie begegnet. Den von der NRC habe ich einmal gesprochen. Er blickte mich aber so unfreundlich an, dass kein Gespräch entstehen wollte. [...]. Ich habe immer gefühlt, dass es sich um eine abgekartete Sache handelte. Ich kann das nicht beweisen, man wollte aber scheinbar nicht, dass ich Direktor des Orkestgebouw werden sollte."
Aftermath
Kox hat sich dann schon entschlossen, seine Ernenneung zum künstlerischen Leiter des Concertgebouw zurückzugeben. Er fand, dass seine Autorität untergraben war, dass er nicht mehr funktionieren konnte. Flothuis versucht noch, ihn auf andere Gedanken zu bringen. In Kox' Augen aber waren Heg und Reichenfeld Funktionare von Kräften, deren Mission es war, ihn als Leiter des Concertgebouw herunterzumachen. Er sagt wortwörtlich auch heute noch: "Ich kann es nicht beweisen, aber so fühle ich es".
Von Reichenfeld ist mir keine Reaktion bekannt, Heg hat die bis auf den heutigen Tag anhaltende Beschuldigung immer mit Bestimmtheit und mit guten Argumenten als "zuviel der Ehre" ins Reich der Fabeln verwiesen. Der Kern dieser Angelegenheit liegt natürlich in Kox' Zurücktreten als künstlerischer Leiter des Concertgebouw, ein Schritt, den er wie Flothuis zurecht bemerkt, gar nicht hätte machen sollen. Andere wären dem Streit gerade nicht aus dem Weg gegangen. Dass Kox dies wohl tat, scheint auf einer anderen Ursache zu beruhen: seit seiner Ernennung zum künstlerischen Leiter des Concertgebouw beschlich ihn ein unbehagliches Gefühl. Er schreibt darüber schon 1974 in seinem Tagebuch:
‚Die Erfüllung dieser Aufgabe hätte Verrat an meiner anderen (heute vielleicht einzigen) Aufgabe bedeutet: am Komponieren. Dass diese Einsicht erst allmählich durchbrach, kann auch auf das Konto meiner Ehrsucht geschrieben werden, denn ich wollte gern versuchen (und immer noch), es zu vollbringen. Die Kritiken an der Oper, die versuchten, mich herunterzumachen - ein kultureller Mord - öffneten meine Augen erst recht! Reichenfeld und Heg haben hier anscheinend auf paradoxale Weise "den Komponisten Kox vom Untergang gerettet" statt dass sie ihn heruntergemacht haben...'
De regie
Regie ist ein schlechtverstandener Begriff. Viele Besucher eines Opernhauses verwirren den Regisseur mit dem Bühnenausstatter, und verstehen nicht gut, wie die Requisieten um die Regie aufgezogen werden. Es ist schwierig, den Regisseur Hamilton heute auf seine damalige Regie hin zu beurteilen, weil die technischen Hilfsmittel in der Zeitspanne von 40 Jahren so viel zahlreicher geworden sind, dass es dem Vergleich eines Fahrrads aus 1974 mit einem Fahrrad eines Toursiegers von heute gleichkommt, der auch noch das Doping von heute dazu geschenkt bekommt.
Das Cirkustheater vom Jahre 1974 (und De Stadschouwburg aus den Jahren 1977/1982) lassen sich nicht mit dem heutigen Muziektheater vergleichen. Wenn man mit Hilfe von alten Fotos von Aufführungen aus den sechziger und siebziger Jahren urteilt, so bestand das Bühnenbild hier gewöhnlich aus einem Tuch mit drei Bäumen und einem gemalten Platz, vor dem einige Leute standen. Wenn Geld vorhanden war, so war der Platz oder der Wald dreidimensional, d.h. auf drei Wänden gemalt. Noch einige Requisieten aus der Zeit und die Illusion war da. Hamiltons Regie illustrierte und unterstrich die Geschichte. Das ist ein klassischer Ausgangspunkt , ganz anders als das damals Beifall findende progressive deutsche Regietheater eines Rolf Liebermanns. Hamilton würde 2013 bestimmt von anderen Ausgangspunkten ausgegangen sein als 1974. Das gehört aber zum Fach: wo Tosca Ewigkeitswert hat, würden wir die Regie vom Jahre 1900 heute verhöhnen. Ein ehemaliger Regiegott wie Zeffirelli ist heute, außer in Altersheimen und bei Callasfetischisten, hoffnungslos veraltet. Hamiltons unterstützende Regie passte in jene Zeit. Die Fotos zeigen, dass das Cirkustheater in räumlichem Sinne optimal benutzt wurde. Die Bühneausstattung war finanziell effizient: einfach, aber realistisch genug, um der dekadenten, anglo-sächischen Fin-de Siècle-Atmosphäre gerecht zu werden. Es ist vor allem die Art und Weise, wie Hamiltons Regie in den Rezensionen van Heg und Reichenfeld gebraucht wird, um die Oper endgültig herunterzumachen, die den Eindruck hervorruft, dass beide Rezensenten die Aufführung im Jahe 1974 mit verschwommenen Bildern erlebten, mit Kox als Toreador und Hamilton als das rote Tuch. Hamilton war damals als Regisseur ein Anfänger. Noch abgeshen von der Tatsache, dass De Telegraaf seine Regie rühmte, hatte ein ganz klein bisschen mehr goodwill Reichenfeld und Heg 1974 geziert.
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